Blatt

GS 14622

Kassel, Staatliche Museen, Graphische Sammlung - Zope-Id: 8766

Vorschau
Ort Kassel
Institution Graphische Sammlung
Teilbestand
Signaturen GS 14622
Gegenstand Hamburg, St. Katharinen, Entwurf zum Kirchturm, Aufriß
Künstler unbekannt, ()
recto recto Zeichnung Zeichnung
Beschriftung Beschriftung
Skala Maßstab
verso verso
Stempel
Wasserzeichen Krone über Wappenschild mit zwei Schrägbalken, "LVG"
Papierqualitaet Papier
Papierfarbe
Größe 440 x 3040 mm
Zustand
Montierung
Datierung 1732 (vor)
Bauwerk
Bauwerk-Links
Schriftquellen
Zeichnungen
Stiche
Fotos
CAD
Literatur
Kommentar Das in ungewöhnlichem Format (304 x 44 cm), aus mehreren Teilen zusammengesetzte Blatt hat einen hohen dokumentarischen Wert. Es zeigt einen verworfenen Entwurf für den barocken Kirchturm der Katharinenkirche in Hamburg. \nDie zweigeschossige Fassade, die Johannes Nicolaus Kuhn 1732 bis 1737 anstelle der baufälligen und abgesunkenen Renaissance-Arkadenverkleidung schuf, präsentiert in hierarchischer Anordnung eine mehrteilige Eckpilastergliederung dorischer bzw. ionischer Ordnung auf hohem Sockel. Die Mehrschichtigkeit des Mauerwerks prägt auch den mittleren Fassadenabschnitt, wo über dem von Säulen flankierten rundbogigen Hauptportal ein zweiflügeliges ädikulagerahmtes Rundbogenfenster und ein doppeltes Sprossenfenster mit geschweifter Rahmung ohne Unterbrechung übereinander gesetzt sind. Bemerkenswerte Details bilden die Türfüllung mit Rokokoornamentik und das Gebälk mit Kartusche, die den Schriftzug "Jehova" zeigt. Im Obergeschoß füllt ein Segmentbogenfenster den durch den Pilastersockel definierten Bereich. Den oberen Wandabschnitt gliedert ein Rundbogenfenster mit geschweifter Verdachung, das auf einer vorgeblendeten Mauerfläche mit Rücklage aufsitzt. Den Fassadenabschluß bildet ein verkröpftes Gebälk mit hohem, reich profiliertem Kranzgesims, das die Mauerschichtung der Pilastergestaltung weiter fortführt. Ein Glockengeschoß mit mittigem Uhrenzifferblatt und seitlichen Schallöffnungen überführt unter Vermittlung einer konkaven Verdachung die rechteckige Grundform des Turmes in die oktogonale Form des Turmhelms. In aufwendiger Ausführung erhebt sich der 1656/57 errichtete Helm aus drei sich verjüngenden welschen Hauben mit zwischengesetzten offenen Laternen. Er entstand nach den Plänen des sächsischen Zimmermeisters Peter Marquardt, der auch für den Neubau der Nikolaikirchturmspitze verantwortlich war. Vergleichsobjekte stellen die zwei- und dreigeschossigen Laternenbauten der im frühen 17. Jahrhundert in Dänemark und den Hansestädten wie Greifswald, Riga oder Reval erbauten Turmspitzen dar (Klée Gobert 1968, S. 110-112; Heckmann 2000, S. 325f., 342f.) .\nDie über mehrere Geschosse reichende Portal-Fenster-Gliederung des vorliegenden Entwurfs wurde in der späteren Ausführung stärker gestrafft. So ist die Sockelzone in beiden Geschossen weggefallen. Die mehrteilige Wandvorlage an den Turmecken reduzierte Kuhn auf Pilaster und Rücklage. Die Ädikularahmung des Rundbogenfensters wurde zurückgenommen und dafür dem verkröpften Gebälk über dem Portal ein gebrochener Segmentbogengiebel hinzugesetzt. Das Rechteckfenster mit geschweifter Rahmung im ersten Geschoß tauschte Kuhn gegen ein querovales Fenster, desssen Umriß sich stärker auf die Rundbogenform des darunterliegenden Fensters bezieht. Durch den Wegfall der durchfensterten Sockelzone im zweiten Geschoß verändert sich die Aufteilung. Die Anordnung von zwei, in der Größe nach oben hin abnehmenden Rundbogenfenstern übertrug Kuhn in der Ausführung nun auch auf das zweite Geschoß. \nDie Zeichnung geht von einem ebenerdigen Standpunkt des Betrachters aus. Die Darstellung der oberen Geschosse entspricht dieser Perspektive jedoch nicht. Gerade die Turmgeschosse sind im Verhältnis zu den unteren Fassadengeschossen viel zu hoch angelegt. Auf diese Weise konnte jedoch die Höhenwirkung des Turmes um ein Vielfaches gesteigert werden. Eine Betonung der Höhe beabsichtigte der unbekannte Zeichner auch mit der auffälligen Eintragung des Maßstabs, der am linken Rand über die gesamte Länge des Blattes ausgeführt ist. \nDie aus mehreren Blättern zusammengesetzte Zeichnung ist kaschiert und war ehemals um einen Holzstab gerollt. Das Blatt stammt aus dem Nachlaß des Kasseler Architekten Leonhard Müller und wurde im Verzeichnis fälscherlicherweise als "Entwurf eines Kirchturms für Trendelenburg" geführt.
Autor MH